Für eine erneute Auflage unserer erfolgreichen Reihe der Kamingespräche konnten wir Frau Kerstin Claus, die unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs gewinnen.
In unserem ersten digitalem Kamingespräch in 2024 sprachen wir gemeinsam mit ihr über das Amt, die bisherigen Entwicklungen sowie aktuelle Herausforderungen für einen strukturellen Kinderschutz in Deutschland. Der Abend war geprägt von einer Vielzahl an Themen. So ging es neben dem aktuellen Entwurf zum UBSKM Gesetz, um die Herausforderungen der sexualisierten Gewalt in digitalen Räumen und um die Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen der Kampagne „Nicht wegschieben“. Insbesondere die Frage nach gelungener Betroffenenbeteiligung im Rahmen von Aufarbeitungsprozessen wurde erörtert. Moderiert wurde das Gespräch durch die Journalistin Iris Toussaint.
Zu Beginn würdigte Frau Claus zunächst die mit dem Amt der:des UBSKM verankerten Gremien der Aufarbeitungskommission, des Betroffenenrates und des Nationalen Rates als wertvolle politische Strukturen. Diese wurden auch von ihr persönlich als herausragende Möglichkeit erlebt, um die eigene Expertise partizipativ in den politischen Bereich einzubringen.
Im Hinblick auf die aktuelle Vorlage zum „Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ wurde deutlich, dass das Amt der:des UBSKM und somit auch das Thema Kinderschutz ressortübergreifend in der politischen Landschaft verankert werden muss. Ein Meilenstein hierfür sei unter anderem der geplante Aufbau eines Kompetenzzentrums für die Forschung zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen, welches eine groß angelegte Dunkelfeldstudie durchführen soll. Die Erfassung der aktuellen Zahl von Kindern und Jugendlichen heute, die Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt machen, kann so einen wichtigen Beitrag zur Operationalisierung des Themas leisten. Mit der Etablierung einer Berichtspflicht im Bundestag können so auf Basis dieser Erkenntnisse passende sowie zielgerichtete (politische) Maßnahmen ergriffen werden.
Vor allem im Bereich der digitalen sexuellen Gewalt, die länderübergreifend stattfindet, forderte Kerstin Claus zugleich dazu auf, das Thema insbesondere europäisch zu denken und verwies auf die fehlende Lobby auf dieser länderübergreifenden Ebene. Dies liegt vor allem an der unterschiedlichen politischen Verankerung des Themenfeldes in den einzelnen Ländern. Hier fehle es noch an politisch verankerten Strukturen, z.B. als Gegenüber für das Amt der:des UBSKM. So besteht die Gefahr, dass das Thema keine Priorisierung erhält und hinter anderen Aspekten zurückfällt. Hier sei die Debatte rund um die sogenannte Chatkontrolle im Kontext der EU-Richtlinie zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch zu nennen.
Wir müssen erkennen, dass Kinder vor Ort geschützt werden
Ziel sei es Kinder vor Ort auf der kommunalen Ebene und vor allem im hier und jetzt zu schützen. Dabei gibt die Bundesebene durch gesetzliche Vorgaben, insbesondere im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, wichtige Impulse. Diese können von anderen Institutionen sowie den Ländern und Kommunen aufgegriffen, analog angewendet und umgesetzt werden. Als Beispiel hierfür diene der Verweis auf die Schulen, welche durch die jeweiligen Landesschulgesetze auf die Erstellung von Schutzkonzepten verpflichtet werden können. Bis heute ist dies in lediglich acht Bundesländern der Fall. Hier braucht es das Zusammenspiel von politischen Vertreter:innen und gesellschaftlichen Gruppen, die sich für dieses Thema in den eigenen Bereichen einsetzen, wie bspw. die Landeselternvertretungen. Einen Teil dazu beitragen möchte die Kampgange „Nichtwegschieben.“ Diese soll zeigen, dass die Verantwortung für den Kinderschutz auch bei jedem und jeder von uns liegt. Die Unterstützung durch jede Personen, aus der Zivilgesellschaft heraus ist unabdingbar.
Viel zu häufig wurde und wird heute noch aus Unsicherheit im Umgang mit Berichten und Fällen von sexualisierter Gewalt weggeschaut. Ein wichtiger Bestandteil, um dies zu ändern, sei das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch. Hier zeige sich bereits eine Veränderung dahingehend, dass vermehrt Personen um Rat fragen, die nach Hilfe bei der Einschätzung von potenziellen Gefährdungen suchen oder wissen möchten, wie sie auf die Offenlegung von Missbrauchsfällen reagieren sollen.
Wir müssen weg davon, Betroffene in eine Opferstigmatisierung zu bringen.
Mit Blick auf den aktuell laufenden Dialogprozess zur Beteiligung von Betroffenen machte Frau Claus deutlich, dass Aufarbeitungsprozesse weiterhin für alle Beteiligten eine große Herausforderung darstellen. Bis heute werden die Forderungen von Betroffenen negiert. Durch eine hohe Emotionalisierung wird eine qualitative und wirksame Auseinandersetzung mit der Vergangenheit verhindert. Der deutschlandweit einzigartige Prozess soll helfen, zu klären, was Aufarbeitungsprozesse benötigen und wie es gelingen kann, dass Betroffene nicht wieder in Machtdynamiken von Institutionen hineingezogen werden.
Nicht zuletzt bleibt es ein stete Aufgabe, zu lernen, dass Betroffenheit von sexualisierter Gewalt das Leben beeinflusst, aber nicht immer vollends bestimmen muss. Die Offenlegung eigener Erfahrungen führe weiterhin und viel zu häufig zu einer Stigmatisierung, die dann nur noch die Missbrauchserfahrung einer Person in den Vordergrund stelle. Statt Betroffene verallgemeinernd, also immer in das totale Scheitern zu drängen, sollten auch diese Erfahrungen anerkannt und als Kompetenz gesehen werden. So kann kontinuierlich für einen immer besseren Schutz von Kindern und Jugendliche gesorgt werden.
Das nächste Kamingespräch mit Mitgliedern der unabhängigen Aufarbeitungskommission findet am
29. Oktober 2024 statt. Bleiben Sie informiert über unser Aktivitäten und melden Sie sich zu unserem Newsletter hier an.
Claudia Wülbeck, IPA e.V.